Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde der Kunst, lieber Holger Koch!
Mit »Es war einmal« möchte man jede Geschichte, die der Freiberger Maler und Grafiker Holger Koch in seinen Bildern erzählt, überschreiben.
In ihnen fabelt, rumort, zirpt und zwitschert es. Ein halber Käsemond, eben aus dem Orbit kontrolliert abgestürzt und sicher gelandet, sitzt auf einem roten Plüschsessel, zu Häupten eine Schar bunter Vögel (hier als Radierung). Eine alberne Gans überbringt von ganz hinten einen wichtigen Brief. Anderenorts besetzt der eben herabbemühte Mond einen grünen Stuhl und wird von einer Amsel neugierig begrüßt. Märchenhaft und doch mit der richtigen Prise Realhumor gewürzt, ergeben gerade die kleinen handcolorierten Radierungen von Holger Koch ein Panoptikum skurriler menschlicher Gewohnheiten und Schwächen jenseits der Norm, das sowohl im Rahmen ihrer Erzählräume das kleinstädtisch-Provinzielle sprengt als auch zum spaßvollen Vergnügen wird. Die »Ungewöhnlichen Begebenheiten aus der Kleinstadt« machen die Sensation perfekt: lm heimischen Freiberg, am Rande der stark befahrenen Bundesstraße, in einem ehemaligen Postgebäude arbeitet der Maler Holger Koch, indem er die Neuigkeiten hinter dem Fenster beobachtet und zu Papier oder auf die Leinwand bringt. »Man braucht gar nicht rauszugehen, um zu malen« meint Koch verschmitzt.
Aus dieser ungewöhnlichen Erzählperspektive auf die Welt blickend, geht dem Künstler nie der Stoff aus. Es gibt nichts, was für ihn nicht erzählbar wird.
Mit dieser Ausstellung in der Galerie Schmidt-Rottluff weist sich Holger Koch als gereifter Künstler aus, der aus der zunächst verschlüsselten, ein wenig engen Hermetik seiner Figurationen ausgebrochen ist, leichter, lockerer und heiterer fabuliert und sich dem Glückszufall einer ldee überlässt, die ihm das tägliche Leben eingibt. Das Weltläufige seiner Themen greift ins volle Menschenleben und spart keine Peinlichkeit aus, die das Zwischenmenschliche bietet, auch nicht sich selbst. Neben Landschaften, die oft surreal verfremdet werden, offen von Reisen inspirierte Räume (die Toscana und Mecklenburg), manchmal hinter einem opulent gedeckten Tisch, mit einem Apfel oder einer Orange überdimensional dekoriert, konzentriert sich Holger Koch auf das kleinstädtische Flair (tagsüber und nachts) mit seinen verschachtelten uralten Häuserfronten, über denen oft eine freche Mondnase steht, die den Himmel hämisch grinsend zersägt. lm »Freundeskreis« marschieren die Vögel des Abends und um den Marktplatz mit seinen fein nummerierten Haustüren, in die Koch seine Signatur geschrieben hat und das Datum des Entstehungsjahres. Eine brennende Kerze im Brunnen findet seine Bewunderer: Vögel, überall Vögel. Anderenorts reihen sie sich auf Leinen und Drähten wie die spitzbübige Notenfolge eines Scherzos. Durchblicke bieten die Möglichkeit, zwischen ihnen eine lustige Leine mit Wäsche zu spannen, auf die schon mal mancher komische Vogel sitzt oder wenn zwischen den Häusern quer über die Straße eine Leine zum Trocknen aufgespannt ist, wie in »Waschsalon«.
Holger Kochs Bildallegorien überzeugen durch ihre sprichwörtliche Prägnanz, an denen selbst die Fabeldichter des 17. Jahrhunderts wie Jean de la Fontaine oder Lessing ihren Spaß hätten. Für das Gellert -Museum in Hainichen hat Koch schon mal einige von ihnen illustriert. Ein deftiger, von der Welt des Alltäglichen inspirierter Titel steigert dabei die Wirkung des Grafischen. Sprichwörter, Wortspiele, Redewendungen, Umgangssprache und Alltagsweisheiten zieren die kleinen grafischen Kostbarkeiten. Wort und Bild entstehen im Miteinander des Entstehungsprozesses. In den kleinen Formaten ist es immer eine scharfzüngige ldee, die sich in einer meist naiven, aber treffsicheren Komposition äußert. Aus Kochs Almanach gereift -komischer Situationen vom Reich der Ornithologie werden anthropologische Ausschweifungen intimer Brachialromantik. Mond ist nicht gleich Mond, auch das muss man erst mal erfahren haben! Und wie lange brauchts, bis dass sich einer in unsere Nähe setzt? Holger Koch gelingt das mühelos!
Bekannt geworden ist der Maler durch die rigerose Verwandlung aller Dinge und die Einsetzung eines neuen Bildkosmos, in dessen Rahmen sich alles bewegt und sich um die Achse eines eigenen surrealen lrrationalismus dreht. Kastenköpfe, Eumel und Alraune wendeten dem Betrachter in früheren Ausstellungen ihre eckigen Köpfe mit allerlei gewagtem Nasenapparaten zu. Diesmal picken Vögel erwartungsvoll nach einer Kirsche in die Luft. Die Vogelfamilie steckt ihre bunten Köpfe aus dem Blätterdach eines Baumes hervor, in dem sich der Mond verfangen hat. Ähnlich der Menschenfamilie in der hier gezeigten Farblithografie »Geburtstagsauto«, die in einem sonderbar kleinen Automobil mit Kind und Kegel zum Picknick in die Natur fährt, ein Bild, das aber nach einem ernsten Hintergrund entstand. Hier bricht einer aus der Schwerfälligkeit des minutiös geregelten Alltags aus und stellt die Welt auf ihren hübschen ungereimten Kopf. Amüsant und kritisch folgen Seitenhiebe auf manchen Zeitgenossen und den Zeitgeist. Sich selbst nimmt er dabei nicht aus. Holger Koch Iiebt die unterschiedlichen Malsubstanzen, das Schwelgen in ihnen, besonders mit Ölfarbe, aber auch in jüngster Zeit das Acryl. Als Maler trägt er seine Farben orgiastisch dick und pastos auf; aber auch herrlich lasiert und schließlich glänzend wie mit silbernem Mondlicht überzogen, funkeln sie noch in der Nacht. Holger Koch mag Tiere, besonders die Exoten unter ihnen, wie bei den Menschen. Seine eigene Badewanne ist ihm zu klein. »Darum«, so sagt er, »sitzt ein Elefant in ihr, ähnlich wie ich selbst, aber in anderer Dimension«. Manchmal auch eine Kuh oder ein Schwein. Für Koch wird aus der großflächigen Elefantendame unter einem gelben Sonnenschirm mit einer Möwe am Meer »Susanna im Bade« und er darf sich darin auf große Vorbilder berufen wie Cranach, Rubens und Picasso. Mit Paul Klee ist Holger Koch frühzeitig bekannt geworden; als 15-jähriger, durch seinen ersten Lehrer, dem freischaffenden Maler Volker Träger (er, der heute noch aktiv ist, studierte an der HfBK Dresden). An dessen Lithopresse experimentierte er begeistert, unternahm in Trägers Zirkel seine ersten Schritte. Damals entdeckte er auch den phantastischen Aspekt, der ganz zum Inhalt seiner Kunst wurde. Holger Koch studierte an der HGB Leipzig von 1980–1985 Buchgestaltung, mit wenig Glück, fand aber bald in einer eigenen Ausdrucksweise zu den für ihn typischen Bildaphorismen, die Bild und Text aneinander koppeln und ihn als eigenständigen Künstler mit einer unverwechselbaren Handschrift auszeichnen, der das scheinbar naive Spiel zu großer Kunst gemacht hat. Ein Maler-Poet, der Wort und Bild grotesk miteinander verbindet, den Schalk aus ihnen hervortreibt.
Ich danke Ihnen!
Heinz Weißflog, 2014